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20 years after – das Berliner Gallery Weekend

Überschattet wurde die Eröffnung des diesjährigen Berliner Gallery Weekend durch die Nachricht des überraschenden Todes des erst 55jährigen Galeristen Daniel Marzona. Gefeiert wurde dann doch noch, und zwar in dem Club, nomen est omen, „Weekend“ am Alexanderplatz. Zusammen mit dem Magazin Monopol, das heuer wie das Gallery Weekend sein 20järiges Jubiläum begeht, wurde dort im 15. Stock über den Dächern der Stadt nicht nur getanzt.

Ein Galeriebesuch dann lohnt sich vor allem in der Galerie PSM, die in der Ausstellung „buti bossum“ aktuelle Arbeiten von Nadira Husain präsentiert. Die Skulpturen und Gemälde der Künstlerin mit französischen und indischen „Wurzeln“ sind bekannt für ihren furiosen Mix bestehend etwa aus Versatzstücken der Popkultur, der High Art des Globalen Nordens, aber auch zum Beispiel indo-persischer Motive. Hybridität wird da zum dekonstruierenden Prinzip, das Modelle von Identität und Gender nachhaltig hinterfragt und neu konstituiert. Ein gutes Beispiel für Nadira Husains Arbeitsweise ist ihre Bilderserie „Haunted Museum“, 2024, die das Motiv der Nofretete in den spannungsreichen Kontext von Diaspora und Kulturindustrie setzt. Die legendäre Büste, die ihren „Ursprung“ selbstverständlich im alten Ägypten hat, gehört heute als berühmtes Museumsstück längst auch zur „Identität“ der Stadt Berlin, was die Künstlerin u.a. dadurch deutlich macht, indem sie die Nofretete in moderner Sportbekleidung malt. Um den Clash der kulturellen Konnotationen weiter zu potenzieren, konfrontiert Husain die dermaßen verfremdete Königin ihrem naiv-realistisch gemalten Bild dann noch zum Beispiel mit Darstellungen einer Löwin, die ihr Baby trägt. 

In der Galerie BQ zeigt Jochen Lempert neue Arbeiten, vornehmlich schwarz-weiße Photographien und Fotogramme mit Motiven aus Natur und Umwelt, so zum Beispiel zurückhaltend anmutende Darstellungen von Vögeln, Wolken, Pflanzen und Spinnweben. Charakteristisch für Jochen Lempert ist die kalkulierte Distanz, die er respektvoll zu seinen Sujets einnimmt. Mal sind die Vögel am Horizont fast nicht zu sehen, mal erscheinen besagte Spinnweben als kaum wahrnehmbare Zeichnungen und auch die Wolken sind erst auf dem zweiten Blick wirklich zu erkennen. Gezeigt werden Jochen Lemperts eher kleinen Arbeiten in der Ausstellung „Ankunft der Mauersegler: 26.4.2024“ stets ungerahmt und direkt an die Wand angebracht. Auch dieses betont den beinahe schon flüchtigen Anschein seiner sensiblen Arbeiten, der diese photographischen Artefakte in einen signifikanten Widerspruch zu dem lautstarken „Realismus“ üblicher Medienphotos bringt.

Rirkrit Tiravanija ist der Galerie neugerriemschneider in seiner Einzelausstellung „untitled 2024 (the sea you see is not what others see the sea you see is not what other see)" mit Papierarbeiten vertreten. Meist großformatige, aus Zeitungsseiten zusammengesetzte Bilder, sind da in schwarzer Farbe mit Motiven von Piratenflaggen aus dem 18. Jahrhundert bemalt. Noch heute stehen diese drastischen Zeichen, etwa der Totenkopf mit gekreuzten Knochen, für Gefahr, Aggression und unrechtem Übergriff. So überführen sie die auf den Zeitungsseiten zu lesenden Aussagen gezielt in einen neuen Kontext. Die aktuelle Presselandschaft verliert dabei ihren vermeintlich sachlich-objektiven Charakter, erscheint jetzt eher als archaische Kampfansage. Hier gilt: Flagge zeigen!

Vergleichsweise schöne Malerei zeigt die Galerie Eigen + Art in ihrer Ausstellung „Bordstein“ mit neuen Gemälden von Kristina Schuldt. Stilistisch irgendwo zwischen Pop Art und Daniel Richter angesiedelt, gelingt es der Künstlerin, etwa auf ihrem großformatigen Diptychon „Bruchstein“, 2024, Nina Hagens zynisches Diktum „Es ist alles so schön bunt hier“ mit malerischer Finesse in eine Form zu bringen, die Schönheit als gefährdet und allgegenwärtig zugleich behauptet.

55 Galerien nehmen dieses Jahr an dem Berliner Gallery Weekend teil, bei der ersten Ausgabe 2004 waren es noch 19 – allein diese Zahlen belegen: Die Berliner Galerieszene ist trotz aller weltpolitischen Krisen nicht klein zu kriegen.

⤇ www.gallery-weekend-berlin.de

Mehr Texte von Raimar Stange

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