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Interview mit RĂ¼diger K. Weng

Der #Kunstmarktnachcorona. Welche Auswirkungen wird die Corona-Krise auf Galerien, Auktionshäuser und die weiteren Marktteilnehmer wie Kunstversicherer und -transporeure haben? Das artmagazine bringt in einer Serie von Interviews die Einschätzungen internationaler Akteure im Kunstbetrieb.

Rüdiger K. Weng ist seit einem Vierteljahrhundert Kunsthändler, den größten Teil davon eher hinter den Kulissen im sogenannten B2B-Geschäft zwischen Auktionshäusern, Kunsthändlern und Galeristen. Mit seinen beiden AGs Weng Fine Art und WFA Online/Weng Contemporary setzt er derzeit rund 8 - 10 Millionen Euro im Jahr um, davon etwa 60 Prozent online u.a. mit Editionen von Jeff Koons, Damien Hirst, Ai Weiwei, Christo, Robert Longo oder Alex Katz sowie anderen wichtigen zeitgenössischen Künstlern.

artmagazine: Welche Konsequenzen wird die Corona-Krise für das System der Auktionen haben, abgesehen von den aktuellen Ausfällen und Verschiebungen?

Rüdiger K. Weng: Erst einmal wird sich der Anteil der Online-Versteigerungen und der online versteigerten Kunstwerke deutlich erhöhen – dies sicherlich auch über die Corona-Krise hinaus. Davon werden vor allem reine Online-Versteigerer wie „Artnet“ profitieren. Dort kannibalisiert man durch die Internet-Versteigerungen auch keine Live-Auktionen, muss also keine Gratwanderung betreiben. Wir rechnen aber auch damit, dass klassische Live-Auktionshäuser ihre Online-Aktivitäten erheblich ausbauen werden.

Die Weltmarktführer Sotheby’s und Christie’s sind meiner Einschätzung nach gezwungen, bei der absehbaren Schwäche des Hochpreissegmentes, ihr Geschäftsmodell stark zu verändern und die Kosten massiv zu reduzieren, um überleben zu können. Jahresumsätze von 6 - 8 Mrd. $ werden auf Jahre nicht mehr erreichbar sein. Ich rechne u.a. damit, dass man dort die Katalogproduktion weitgehend einstellen muss, die Auktionen auf Online-Plattformen verlagert, ganze Abteilungen, Salesrooms und viele Büros für immer schließen muss. Die Anzahl der Mitarbeiter wird sich vielleicht halbieren müssen bevor man wieder nachhaltig profitabel arbeiten kann.

Für die mittelständischen, kontinentaleuropäischen Auktionshäuser ergeben sich dadurch neue Chancen und auch Nischenplayer werden mangels Konkurrenz ihre Spezialgebiete weiter ausbauen können. Vor allem aber können die kleineren Häuser mit dem Beibehalten von gedruckten Auktionskatalogen, insbesondere bei den Einlieferern punkten und damit gegenüber den einstmals übermächtigen Großauktionshäusern Marktanteile zurückgewinnen. Dies werden wir vor allem im Mittelmarkt sehen, den man in New York und London notgedrungen wohl teilweise preisgeben muss.

Meiner Auffassung nach wird der Auktionseinlieferer noch viele Jahre lang eine Präsentation der Ware in einem „echten“ Auktionskatalog vorziehen, zumal diesen Häusern der zusätzliche Weg einer Online-Präsentation dadurch nicht verschlossen bleibt. Auch die wunderbare Auktionsatmosphäre bei Veranstaltungen von z.B. Ketterer, Grisebach oder Artcurial ist durch reine Online-Veranstaltungen nicht nachzuahmen

Zur Preis- und Umsatzentwicklung: Wir haben seit März stark fallende Umsätze im Auktionsbereich gesehen, aber erstaunlicherweise kaum sinkende Preise – im mittleren Marktbereich (5.000 - 100.000 EUR) sind die Preise sogar eher höher als im vergangenen Jahr. Fallende Umsätze bei stabilen Preisen sind eine Parallele zur Finanzkrise 2008/09. Das Interesse, höherwertige Kunstwerke in einem vermeintlich schwierigen Markt zu verkaufen, ist gering – nennenswerte Notverkäufe haben wir bisher daher auch keine registriert. Diese Entwicklung ist vor allem für die Auktionshäuser problematisch, denn dort verdient man am Umsatz. Seit Juni nimmt die Auktionstätigkeit allerdings weltweit wieder zu, vor allem im deutschen Sprachraum. Wir rechnen in 2020 mit Auktionsumsätzen, die in New York und London 60 - 70 % unter denen des Vorjahres bleiben könnten, während die Rückgänge auf dem europäischen Kontinent eher nur bei durchschnittlich etwa 10 - 30 % liegen werden.

Wird eine Marktbereinigung stattfinden? In welchen Bereichen?

Unter den Auktionshäusern werden alle diejenigen überleben, die ihre Kostenstrukturen einem geschrumpften Markt anpassen können und die in der Lage sind, das Online- und Offline-Geschäft optimal miteinander zu verweben.

Für das Messemodell bin ich sehr skeptisch. Hier werden meiner Einschätzung nach nur noch wenige Top-Veranstaltungen überleben können. Messen ohne USP, wie zB die Kunstmesse in meiner Heimatstadt Düsseldorf, sind chancenlos, vor allem wenn sie weiter rückwärtsgewandt agieren und sich der digitalen Entwicklung verschließen.

Generell ist es so, dass Marktteilnehmer, die an den überkommenen Modellen festhalten, viel schneller hinweggefegt werden, als man sich das bisher vorstellen konnte. Die Corona-Krise beschleunigt viele Entwicklungen. Wir gehen allerdings mindestens für die nächsten Jahre weiterhin davon aus, dass die Live-Formate umsatzmäßig die Online-Formate deutlich übertreffen werden. Das Live-Erlebnis der Kunstvermittlung und des Kunstkaufs kann im Internet nicht adäquat abgebildet werden. Auch sind die wichtigen emotionsgetriebenen Kunstkäufe live extrem viel häufiger als im Netz.

In den vergangenen Monaten haben fast alle Marktteilnehmer inklusive der Künstler digitale Formate genutzt oder entwickelt. Was davon wird bleiben? Ob und inwieweit wird sich der Markt ins Digitale verschieben?

Der Online-Anteil am Kunstmarkt dürfte sich insgesamt deutlich erhöhen, u.a. weil die Marktführer massiv online tätig werden und die Virussituation vielen bisher zögernden Menschen das Online-Geschäft nähergebracht hat. Aber wir reden da über die Erhöhung des Online-Marktanteils von 5 % (2019) auf vielleicht 20 - 25 % in den kommenden Jahren. Im mittleren und oberen Preisbereich werden noch über Jahre die Auktionspreise in Live-Auktionen über denen von Online-Auktionen liegen.

Am wenigsten werden die Kunstmessen von ihren Online-Formaten profitieren, denn das Messegeschäft lebt nun einmal von der persönlichen Interaktion zwischen Galeristen, Sammlern und der Kunst. Unserer Einschätzung nach sind die Aktivitäten auf den Webseiten der wichtigen Galeristen und Händler deutlich höher als auf denen der Messeveranstalter.

Im Kunsthandel- und Galeriegeschäft werden vor allem diejenigen erfolgreich sein können, die es schaffen, über Online-Formate weltweit möglichst viele Kunden zu akquirieren, die sie dann durchaus auch offline bedienen. Auch hier gilt: „Die richtige Mischung macht’s“.

Natürlich wird man auch nach der Art der Kunstobjekte differenzieren müssen. Altmeister werden es online schwerer haben als Post War und Contemporary Art. Skulpturen und Installationen sind zweidimensional nur ungenügend abzubilden und wollen gesehen, gespürt und angefasst werden. Für Kunstwerke im 6- und 7-stelligen Bereich werden lediglich lang etablierte Adressen online Interessenten finden. Insgesamt werden die Margen für alle Marktteilnehmer voraussichtlich sinken, da Datenbanken wie die von Artnet die Vergleichbarkeit von Preisen erleichtern. Diesen Trend sehen wir schon seit etwa zwei Dekaden. Meiner Einschätzung nach hat die Einführung der Artnet-Datenbank den Kunstmarkt der letzten Jahre mehr revolutioniert als jedes andere Ereignis.

Wir mit der „Weng Contemporary“ haben herausgefunden, dass sich limitierte Editionen mit ikonischen Motiven von international bekannten Künstlern online besonders gut verkaufen lassen. Hier hat der Kunde oft das, was er erwerben möchte, schon vorher im Original gesehen, er kann Preise vergleichen, die Künstler sind etabliert, die Objekte damit werthaltig. Der Preisbereich von 5.000 - 50.000 $ ist derzeit im Online-Kunstmarkt der erfolgreichste. Den Boom in diesem Teilbereich spüren wir schon seit Wochen.

Generell bin ich der Auffassung, dass sich die Zukunft des Kunstmarktes für die nächste Dekade bis zum Ende des kommenden Jahres entscheiden wird. Wer es bis dahin nicht geschafft hat, sich der „neuen Realität“ anzupassen, wird überrollt und bedeutungslos werden, oder gleich ganz verschwinden. Dies gilt für alle Ebenen des Kunstmarktes.

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Abbildung: Rüdiger K. Weng, Foto © B Wichmann/Weng Fine Art

Mehr Texte von Stefan Kobel

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