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John Miller - An Elixir of Immortality: Ruinöse DiaLECKtik

Gleich im ersten Raum der Ausstellung „An Elixir of Immortality“ erwarten den Besucher die bekannten, mit brauner „Matsche“ bestrichenen Werke John Millers. Da steht z. B. die Skulptur „My Friend“, 1990, die erste Schaufensterpuppen-Arbeit des Künstlers. Die Schaufensterpuppe eines weißen Mannes steht dort, mit blonder Perücke und Kleidern Millers, die dieser zuvor braun bestrichen hatte, wenn man so will: vollgekackt hat. Einerseits, Isabelle Graw betont es in ihrem Essay zur Ausstellung, steht diese Arbeit für „das menschliche Wesen als Ware“ und lässt so daran denken, dass, was die Identitätspolitik heute gern vergisst, selbstverständlich auch weiße Männer am Kapitalismus leiden. Andererseits wird dieses im wahrsten Sinne des Wortes „Denkmal“ quasi besudelt und spielt so auch an aktuelle „Denkmalstürmerei“ an. Gleichzeitig, dieses macht die Sache kompliziert, kann die braune Substanz natürlich auch als Schokolade gelesen werden - mit den Worten „Dreck, schleck, schmeck“ hat ja schon Wolfgang Amadeus Mozart die DiaLECKtik von (unappetitlicher) Negation und (appetitlicher) Bejahung in seinen „Bäsle Briefen“ auf den Punkt gebracht. Vor der Skulptur nun liegt in der schlüssig zusammengestellten Ausstellung in Form eines großen „NO“ der Teppich „Untitled (The Horrible Negation)“, 2011/2020. Diese Negation ist letztlich so bestimmt unbestimmt, dass sie der Ausstellung als Ganzes, ihren Fotos und Videos, Skulpturen und Gemälden aus den letzten 36 Jahren, einen kritischen Unterton zu verleihen vermag. 

Im oberen Geschoss des Schinkel Pavillon dann findet sich ein Ensemble scheinbar goldener antiker Ruinen. Diese Fake-Säulen und der eine Obelisk erinnern auf den ersten Blick an antike Monumente, letztlich stellt sich aber dank des offensichtlich billigen Blattgoldes, das bei der Installation „Mourning for a World of Rubbish“, 2020, zum Einsatz kam, schnell der Eindruck ein, es handele sich hier um eine handelsübliche Dekoration, wie man sie z. B. aus pompösen Spiel- oder Hotelhallen a la Las Vegas kennt. Anders als bei „My Friend“ findet die Kritik dieser Installation, hier die Entwertung von vermeintlichem Wert, nicht in Form von Negation, sondern in der von Überaffirmation statt: Zuviel (falscher) Luxus weist diesen in die Schranken. Zudem hat Miller der Installation eine vergoldete Replik der historischen Granitschale aus dem Berliner Lustgarten beigefügt, eben jener Granitschale die später Adolf Hitler als Kulisse für viele seiner Propagandareden inszeniert hat. Die DiaLECKtik von Negation und Bejahung gewinnt da die Qualität einer, so John Miller selbst, „beängstigenden Einwilligung“ (mit dem heutigen Neofaschismus). Um die Installation herum hängen schließlich Gemälde, die den Moment der Kritik explizit unterstreichen, z. B. die ebenfalls hoch aktuelle Arbeit „Untitled“, 1987, die ein von weißen Polizisten bedrängtes Sit-In der schwarzen Bürgerrechtsbewegung dieser Jahre zeigt, gemalt in einem naturalistisch-bunten Realismus. Ob das gegenüber hängende Bild „Untitled“, 1984. das einen exhibitionistischen „Badman“ zeigt, wohl als verzweifelter Kommentar zu Donald Trump gemeint ist?!

Durch und durch politischer Natur also ist die überzeugende Ausstellung „An Elixir of Immortality“ von John Miller - ohne dieses, etwa im Begleittext, an die große Glocke hängen zu müssen. Unbedingt bis zum 13.Dezember anschauen!

Mehr Texte von Raimar Stange

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John Miller - An Elixir of Immortality
06.06 - 13.12.2020

Schinkel Pavillon
10117 Berlin, Oberwallstraße 1
Tel: +49 30 208 86 444
Email: info@schinkelpavillon.de
http://www.schinkelpavillon.de
Öffnungszeiten: Fr - So 12:00 - 18:00


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