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Im Zentrum und an den Rändern

Wir leben seit Jahrzehnten im Zeitalter des Visuellen, in dem das Bild zum Basismedium der Verständigung und des Verständnisses der Welt geworden ist. Eigentlich paradiesische Zeiten für die künstlerische Fotografie, die es auf Grund der Geübtheit im Lesen von Bildern einfach haben sollte, uns Inhalte zu vermitteln. Allerdings ist der alltägliche Strom an Bildern der Selbstbestätigung auf sozialen Netzwerken, zu denen auch die unumgänglichen Selfies vor welchen Motiven auch immer gehören, zum großen Konkurrenten des achtsamen Erzählens mit Bildern geworden. In der Flut des Banalen braucht es Plattformen und Festivals wie die FOTO WIEN, die sich über das Alltägliche erheben und neue Reflektionsebenen eröffnen.

Gegründet 1978 in Paris und im Jahr 2004 auf europäische Partnerstädte ausgedehnt, um der künstlerischen Fotografie diese Plattform zu bieten und zu mehr Publikum zu verhelfen, ist der „European Month of Photography“ nun allerdings selbst an die Grenzen des Wahrnehmbaren gelangt. Wien war eines der Gründungsmitglieder und hat unter dem Titel „Eyes on“ bis 2017 das Festival ausgerichtet, das in diesem Zeitraum auf über 200 Programmpartner angewachsen war – entsprechende Unübersichtlichkeit inkludiert. Dann verordnete sich die Stadt eine Nachdenkpause und beauftragte schließlich Bettina Leidl und ihr Team des Kunst Haus Wien mit einer Neuausrichtung des Festivals. Herausgekommen ist mit der FOTO WIEN einerseits eine Konzentration mit einer Festivalzentrale im historischen Gebäude der ehemaligen Postsparkasse, andererseits ein ähnlich wie früher ausufernder Ausstellungsparcours in der Stadt selbst, mit mehr als 130 Programmpartnern, von den Museen Albertina und mumok, über viele Galerien und Offspaces bis zu Kaffehäusern, Geschäften und Künstlerateliers. Auch wenn manche Ausstellungen schon vor dem Beginn der FOTO WIEN eröffnet haben bzw. über die Festivaldaten hinaus zu besichtigen sind, bleibt ein Moment der Überforderung, denn die Stadt hat viele interessante Positionen und Ausstellungen zu bieten. Zusätzlich bieten die Porgrammpartner noch bis 20. April Talks, Führungen und weitere Ausstellungseröffnungen. 

Die Festivalzentrale in der Postsparkasse dient bis zum 6. April als Informationszentrale und bietet vor Ort mehr als 50 Programmpunkte. Während in früheren Jahren von einzelnen teilnehmenden Städten eine gemeinsame Themenausstellung zusammengestellt wurde, werden dieses jahr mehrere Mikro-Ausstellungen gezeigt, manche davon verknüpft mit dem European Month of Photography.

Als Hommage an Frankreich als Gründungsland des Fotomonats hat Walter Seidl österreichische und französische Fotograf*innen zum Thema „Urbane Zonen“ zusammengefasst. Auffallend bei der Auswahl ist, dass die ausgewählten heimischen Künstler*innen das Thema konzeptionell umsetzen. Aglaia Konrad stellt eine großformatige fotografische Collage zu unterschiedlichen urbanen Räumen in den Ausstellungsraum, Claudia Larcher zeigt ein Video, in dem zwei Hände eine Zeitschrift durchblättern, die mit dem Skalpell von allen „Ornamenten“ wie Text und Anzeigen befreit wurde, bis nur noch Elemente mit Bezügen zu Architektur übrigblieben. Beide nähern sich dem Thema über die Architektur als determinierendes Element der sozialen Interaktion, bleiben in ihrer Auseinandersetzung in Räumen der Ermöglichung bzw. Verhinderung. Die französischen Fotograf*innen hingegen definieren Stadt als Ort der sozialen Interaktion indem sie die handelnden Personen in den Mittelpunkt stellen. Mohamed Bourouissa fotografiert Gruppen junger Menschen unterschiedlicher Ethnien bevorzugt rund um den Markt Les Halles in Paris und zeigt damit die oft subtilen Codes der Zusammengehörigkeit, aber auch einfach den Spaß den die jungen Leute bei ihren Zusammenkünften im öffentlichen Raum haben. Valérie Jouve hat Menschen beim Verlassen ihrer Büros fotografiert. Offene Sakkos, gelockerte Krawatten zeugen von der Vorfreude auf die Freizeit und die Anstrengungen des Arbeitslebens. Die Fotos sind nicht in der Festivalzentrale, sondern am Vorplatz des Museumsquartiers installiert.

Im Untergeschoß, direkt unter der denkmalgeschützten Kassenhalle der Postsparkasse zeigt die Ausstellung „Bodyfiction“ die Nominierten für den European Month of Photography Arendt Award 2019, der im Mai in Luxembourg vergeben werden soll. Die Leipzigerin Carina Brandes verwendet für ihre Selbstinszenierungen ausschließlich analoges Filmmaterial, das sie auch selbst in der Dunkelkammer entwickelt. Auch wenn immer wieder andere Protagonist*innen in ihren Fotografien auftreten, bleibt ihr Fokus auf dem eigenen Körper, mit dem sie ihre an Träume – oder Traumata? – erinnernden Bildwelten erschafft. Das Wortpaar Traum und Trauma war 2015 bis 2017 auch Thema einer Serie des französischen Fotografen SMITH, der hier mit einem Auszug seiner Serie „Spectrographies“ präsentiert wird. Weg von der Fläche als Bildebene für Fotografie bewegt sich die Französin Alix Marie. In einem runden, mit Vorhängen abgetrennten Raum in der Größe einer Umkleidekabine sieht man sich der 360° Ansicht eines alternden Frauenkörpers gegenüber. Der Innenraum wird zum Außenraum des Körpers die Perspektive kehrt sich um und damit einher geht die Frage nach gängigen Schönheitsidealen in unserer selbstoptimierten Gegenwart.

Daneben, im größeren Teil der Ausstellungsflächen im Untergeschoß, geht es weit über die Fotografie hinaus – sowohl thematisch als auch geografisch. Die Klasse für Fotografie von Gabriele Rothemann an der Universität für angewandte Kunst hat hier eine Werkschau zusammengestellt die in Kooperation mit der Athens School of Fine Arts erarbeitet wurde. Studierende beider Ausbildungsinstitutionen zeigen ein dichtes Nebeneinander unterschiedlichster Positionen. Die Videoinstallation „Opera for Coincidental Audience“ von Joanna Tsakalou und Manos Flessas steht am Beginn der düster gehaltenen Ausstellungsräume. Etwas labyrinthisches haftet der Gesamtinszenierung an,kein roter Faden weist den Weg. Trotzdem ist diese Ausstellung der interessanteste Bereich im Festivalzentrum. Vielleicht, weil es nicht nur Fotografie ist, die von Rothemanns Student*innen hier präsentiert wird. Paul Spendiers zitternder Ficus Bejamini steht unweit der scheinbar sinnlos vor und zurück fahrenden Kinder-Dreiräder von Luca Mikitz, die ebenso als selbstvergessenes Spielen gelesen werden können. Bei der Soundinstallation von Julia Reichmayr, oder der Inszenierung von vier Blicken durch Türspione in einen (Ausstellungs?)Raum von Maximiliane Leni Armann steht die Fotografie ebenfalls nicht im Vordergrund.

Die insgesamt 20 Präsentationen und Mirkoausstellungen machen den Besuch der Festivalzentrale auch außerhalb der Talks und Diskussionen zu einem lohnenden Erlebnis – Darunter der Rondo-Fotopreis der Tageszeitung Der Standard, aus dessen Nominierungen übrigens Matthias Herrmann aus der sonstigen Magazinfotografie heraussticht. Die beiden Fotografinnen Hanna Putz und Sophie Thun inszenieren in einem kleinen Raum ein Video-Pingpong des sich gegenseitig Fotografierens, begleitet von einer kurzweiligen Musikliste. esel Lorenz Seidler will dem bösen Algorithmus etwa von Tinder oder Instagram eins auswischen und inszeniert ein reales Like-Spiel mit Fotos aus den Ankündigungen der Ausstellungen von Projektpartnern der FOTO WIEN. Nachdem wir uns in Wien befinden, darf auch der Gemeindebau nicht fehlen. 1.300 Einreichungen hatte der Wettbewerb „So schön ist der Gemeindebau“ von dem die Endauswahl in der Postsparkasse zu sehen ist. Preisverleihung ist am 5. April.

Bettina Leidl und ihr Team haben sich erfolgreich bemüht, eine möglichst breite Darstellung des fotografischen Schaffens in der Stadt zu kuratieren. Dass der Versuch an den (Stadt)Rändern und der Festivalzentrale etwas ausfranst, sollte eigentlich dazu animieren, sich über den Month of Photography hinaus mit dieser Kunstform auseinander zu setzen.

--> fotowien.at

Mehr Texte von Werner Rodlauer

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